Im Jahre 1873 war es, daß eine frohe Botschaft das ganze Dorf Rixheim aufhorchen ließ. Zuerst ein Flüstern in der Runde, dann von Mund zu Munde, die einzig frohe Kunde:
"Die Königin der Engel ist niedergestiegen auf unsere Erde, um Rixheim zu besuchen." Zuerst ein leiser Zweifel, dann ein Fragen: Wie? Und Wo? Die Antwort klang wie Glockenklang und Engelsgesang - denn auffallenderweise erschien Maria hier im Gelände, das seit uralten Zeiten den Namen trägt: "Im Engel".
In diesem Gebiete hat es der Gebieterin der Engel gefallen, zwei Töchtern zu erscheinen. Die eine Tochter war in Habsheim daheim und die zweite in Rixheim. Beide lernten sich kennen in der Nähstube beim Stockbrunnen, wo beide in der Lehre waren. Sie waren bald gute Freundinnen geworden und benützten den Sonntag bei schönem Wetter zu einem Besuche "Unserer lieben Frau im Felde", die seit dem Bildersturm in Basel auf dem Friedhofe in Habsheim verehrt wird. Beide Töchter hatten schwere Anliegen, der einen lag die Mutter krank, der andern der Vater, der Ernährer von 5 Kindern. Beide hatten Grund genug, um Maria um Hilfe anzurufen. Auf dem Heimwege begleitete die Habsheimer Tocher ihre Freundin bis zum "Engel", der halbwegs zwischen Habsheim und Rixheim liegt und eine herrliche Aussicht bietet über die oberrheinische Tiefebene, über den Hardtwald bis über den Rhein zum Schwarzwald. Es befand sich an diesem schönen Aussichtspunkt keine Ruhebank, aber ein Baumstamm lag da, der als willkommener Ruhesitz diente. Hier wollten sich die beiden Freundinnen verabschieden, nachdem sie die Schönheit der Natur bewundert hattten. Sie hatten diesen Platz schon öfters besucht, aber als sie heute kamen, sahen sie, daß er bereits besetzt war. Das war den beiden Töchtern peinlich, denn sie wollten doch niemand stören und sie beschlossen, bis zum "Vögeli" weiter zu gehen (ein Gelände, das an den Engel grenzt), aber die Dame am Engel-Rain rief sie zurück und lud sie zum Sitzen an ihrer Seite ein.
Es mochte zwischen 5 und 6 Uhr abends sein, als Maria sich mit den beiden Töchtern unterhielt. Maria sprach in unserer Muttersprache, die seit dem 5. Jahrhundert in unserem Lande gesprochen wird: das Elsäßische Dialekt oder das sogenannte Plattdeutsch. Sie lüftete den beiden Töchtern den Schleier der Zukunft und gab beiden ein Geheimnis für unsere heutige Zeit. Alles wurde niedergeschrieben in französischer, in deutscher und in elsäßischer Sprache, damit es der Nachwelt erhalten bleibe.
Es wurde an einem sicheren Ort verborgen, wurde aber nicht mehr aufgefunden. Man weiß nur, daß Maria die Töchter lobte, weil sie für ihre Eltern beteten. Die eine hatte ihr Leben angeboten, wenn ihr Vater, der Ernährer der Familie, wieder gesund werde. Nach der menschlichen Wissenschaft konnte dem Schwarzbrand nur Einhalt geboten werden durch die Abnahme eines Beines, damit das andere gerettet würde. Was will aber ein Landwirt mit einem Bein anfangen?
Aber Maria, die gute Mutter, tröstete die Töchter: "Ich habe Euer Flehn in meinem Heiligtume gehört und beim dritten Ave-Läuten wird Euch Erhörung gewährt." Was Maria versprach, das hat sie gehalten. Als am Montag Mittag von vielen tausenden von Türmen auf dem weiten Erdenrund die Ave-Glocke klang, da wurden plötzlich die beiden unheilbaren Eltern der Seher-Töchter geheilt.
Als die freudige Nachricht die Dörfer Rixheim und Habsheim durcheilte, hatte ein Jubel alle Herzen erfaßt, weil "Unsere liebe Frau vom Engel-Rain" sich gewürdigt hat in einer "bösen Zeit" (besa Zitta) Rixheim zu besuchen. Am liebsten hätten die begeisterten Rixheimer mit allen Glocken eine Stunde lang geläutet, wie die Bewohner von Genazzano, als die Mutter vom Guten Rate sie besuchte. Von allen Seiten begann jetzt eine Völkerwanderung zum "Engel", wo man oft 1000 bis 3000 Personen zählte. Das Engel-Gelände war damals ganz bedeckt von Reben in allen Sorten, der Engelwein war einer der Besten, da der Hügel von morgens früh bis abends spät in der vollen Sonne lag. Warum dieses Gelände "Der Engel" oder "Im Engel" genannt wurde, hat keine Chronik berichtet. Heute war sein Name in aller Munde und in der 5. bis 6. Stunde abends, da klangen die Gebete, die Klänge und Gesänge, bis zum Horizonte. Die beiden plötzlichen Heilungen waren ein Beweis der Echtheit der Erscheinung und den Ruhm Mariens trugen die Zeugen der Heilung bis an die Grenzen des Landes.
Aber noch Größeres sollte geschehen, um auch den letzten Zweifler zu überzeugen. Maria erschien mehrere Male. Es ist freilich sehr bedauerlich, daß man den genauen Tag nicht mehr weiß, aber wie man annimmt, waren es die Tage um das Fest Mariae Heimsuchung am 2. Juli.
Es war auch der 2. Juli, der im Jahre 1971 auf einen Freitag fiel, an dem mir die Aufgabe zuteil wurde, Unserer lieben Frau vom Engel-Rain zu gedenken. Man war damals einstimmig der Ansicht, daß man am Platze der Erscheinung eine Mariensäule errichten sollte mit einem Rosengehege umgeben und mit einigen Ruhebänken versehen, um dem Besucher die Gelegenheit zu geben, zu Füßen unserer Mutter auszuruhen. Es wurden noch andere Vorschläge gemacht, aber nach der großen Freude, die unserem Dorfe zuteil wurde, wandelte sich die Zeit in großes Leid um.
Die große Freude über den Besuch der Königin der Engel sollte nicht lange dauern, denn der neue Staat sah in der Ansammlung der tausenden von Menschen eine Gefahr für die Sicherheit des Landes, ja noch schlimmer, man witterte politische Intrigen. Ohne nur den Sachverhalt richtig zu untersuchen, wurde der Befehl gegeben, die Ereignisse in Rixheim vollständig zu unterdrücken. Es tobte der Kulturkampf und die Mächigen des Tages wollten kein neues Lourdes. Die "Verrückheiten" im Engel-Gelände sollten ein für allemal erledigt werden. Ganze Kolonnen von Militär und Gendarmen stürmten den Engel-Hügel mit offenem Degen, bereit, allen Widerstand zu brechen. Sie wollten auf alle Fälle die Ursache dieser Hysterie beheben und die beiden Seherinnen am Orte der Erscheinung verhaften, um sie einige Tage hinter Schloß und Riegel zu setzen, bis sie wieder zum Verstand kämen. Alle Anwesenden wurden wie Verbrecher oder Staats-Verräter behandelt. Der ganze Engel-Hügel wurde umzingelt und doppelt bewacht, damit die Seherinnen nicht irgendwie flüchten könnten. Als die "Grünen" aber zum Erscheinungsorte kamen, um ihre willkommene Beute zu verschleppen nach dem Gefängnis, siehe da... die beiden Seherinnen waren verschwunden.
Vergeblich schnüffelten die "Grünen" nach ihrem Aufenthalte, die beiden Töchter waren nirgends zu finden, spurlos waren sie ihrer Verhaftung entgangen, und der Befehl zur Unterdrückung bewirkte gerade das Gegenteil. Man mußte sogar die Echtheit der Erscheinung bestätigen, denn die beiden Töchter wurden durch ihre Schutzengel durch die Luft, in einen sicheren Zufluchtsort getragen.
Die Habsheimer Tochter wurde in die Wallfahrtskapelle "Maria im Felde" getragen; das Rixheimer Mädchen in das erste Haus nach dem Engel-Wege. Zwei Stunden blieben sie hier in Sicherheit, denn während dieser Zeit durchsuchten die "Häscher" die Wohnungen der beiden Töchter und belästigten ihre Eltern mit allen verfänglichen Fragen. Sie mußten sich aber beschämt zurückziehen, denn die beiden einfachen Seherinnen hatten mit Hilfe des Himmels ein ganzes bewaffnetes Regiment überlistet. Erbost über ihre Niederlage suchten sie sich zu rächen, und man verklagte die beiden Töchter wegen Betrug.
Maria aber wachte über ihre Kinder und ließ nicht zu, daß ihnen irgendwie ein Leid geschehen sollte. Am Tage, an dem sie vor Gericht erscheinen sollten, stieg Maria wieder nieder in unsere Gefilde und holte beide Seherinnen heim in das Vaterhaus und reihte sie ein in die neun Chöre der Engel, in den "Hofstaat Mariens"
Die Jahrhunderte vergehn,
doch der "Engel" bleibt bestehn.
Wenn auch viele nicht verstehn,
was hier oben ist geschehn.
Alles was wir hier hörten, stammt von einem Augenzeugen, der am Feste Kreuz-Auffindung am 3. Mai 1853 geboren wurde. Er war also zur Zeit der Erscheinung 20 Jahre alt. Später wurde der Bericht von einem zweiten Augenzeugen bestätigt und dieser erklärte:
"Der Bericht entspricht voll den Tatsachen; er hat aber 3 wichtige Momente übersehen, nämlich die "Schollen-Schlacht", durch die wir bei den Mächtigen des Tages auf die"Schwarze Liste" kamen.
Auch ist bei der Erscheinung nur von 2 Mädchen die Rede, indessen zählte noch ein junger Mann zu den Sehern. Er sah Maria im Sternen-Gewande, hörte sie aber nicht sprechen. Er lebte später als Einsiedler in der Nähe des "Engel-Rains".
Eine ältere Frau, die für ihre schwachen Augen eine Brille benötigte, rief während des Magnifikats: "Ich sehe Sie! Ich sehe Sie...".
O unsere liebe Frau im Engel-Hag
ist schöner als man sagen mag.
Sie legte danach ihre Brille weg und hat nie mehr eine gebraucht. Es wäre noch vieles zu berichten, doch wollen wir abwarten, bis ein Schweizer Professor seine Nachforschungen beendet hat, die zur Zeit (1972) stattfinden. Die Rixheimer Erscheinung hat viele Ähnlichkeit mit dem Ereignis im Härtelwald in Marpingen in der Saar. Auch dort erschien Maria mit zahlreichen Engeln. Der Gnadenort wurde ebenfalls militärisch unterdrückt. Die kulturkämpferische Regierung verlangte sogar von dem neuen Bischof das Versprechen, daß er Marpingen nie anerkennen solle. Aber nachdem der Kulturkampf ausgetobt hatte, baute das einfache Volk am Gnadenorte eine Kapelle, die erst im letzten Jahr, 1971, am Feste Maria Heimsuchung, eingeweiht wurde. So ist der Wunsch der Marpinger nach 97 Jahren erfüllt worden.
Auch in Rixheim wollte man am Orte der Erscheinung eine Mariensäule errichten zum ewigen Gedenken an den Besuch Mariens in unserer Gemarkung. Aber alles wurde verboten und unterdrückt. Wir waren in dieser "bösen Zeit" rechtlos und machtlos. Man hatte genug der Kämpfe, man suchte den Frieden, man wollte keinen Konflikt und so kam es, daß heute der größte Teil von den Bewohnern Rixheims nichts mehr weiß von dieser glorreichen Zeit. Das alles aber ist offen geschehen am hellen Tage, von Tausenden bezeugt. Im kleinen Lexikon der Marien-Erscheinungen seit 1830 erschienen im Markus-Verlag in Eupen, Belgien, herausgegeben von Kaplan Robert Ernst, sind Seite 10 die Erscheinungen in Rixheim erwähnt, leider nur kurz. Es ist da zu lesen:
Zwei Mädchen, die kurz nachher sterben, schauen Maria mehrere Tage nacheinander, abends in der Nähe des St. Michelberges.
Der St. Michelberg hat aber mit dem Orte der Erscheinung nichts zu tun. Er liegt oberhalb des Dorfes und schaut im Westen über die Großstadt Mülhausen, gegen die Vogesen und im Osten gegen den Schwarzwald. Er bietet unstreitig die schönste Aussicht in der Nähe und in der Ferne. Soll früher ein Friedhof gewesen sein.
Das Engel-Gelände liegt aber zwischen Habsheim und Rixheim, schaut gegen Osten der aufsteigenden Sonne entgegen und im Süden gegen die freie Schweiz. Zu Füßen breitet sich die Oberrheinische Tiefebene und der 30 Kilometer lange Hardtwald. Zur Zeit der Erscheinung war das ganze Gelände mit Rebpflanzungen bedeckt. Leider wurden durch die Seuche der Reblaus die schönsten Gewächse ausgerottet.
Im Kataster ist das Engel-Gelände vermerkt als Brunnenberg, weil hier oben die Quelle des Stockbrunnens liegt. Dieser Stockbrunnen lag noch vor wenigen Jahren in der Mitter der "Langen Straße". Seitdem die Wasserleitung das Dorf mit Wasser versorgt, mußte dieser Stockbrunnen dem Verkehr weichen. In den trockenen Sommern, wo die vielen Schöpfbrunnen fast immer versiegten, da wurde der immer fließende Stockbrunnen belagert, die ganze Nacht hindurch, denn ein Dorf von 3000 Seelen (heute 7000) brauchte Wasser. Das Stockbrunnen-Wasser war von jeher berühmt als "heilkräftig" und man holte es speziell für die Kranken.
Wenn das Dorf nicht so nahe bei der Großstadt Mülhausen liegen würde, so wären wir bereits ein Kurort geworden für verschiedene Krankheiten. Es ist nicht ausgeschlossen, daß in diesem Gedenk- und Jubeljahe 1973 die Königin der Engel dafür sorgt, daß es auch ein Gnadenjahr wird für Rixheim und Habsheim und die ganze Gegend.
Wir hoffen, daß wir die Nachforschungen des Schweizer Professors schon im nächsten Jahre bringen können.
Wir empfehlen Unserer lieben Frau vom Engel-Rain auch unseren Weisbart-Kalender, der im Jahre 1974 sein goldenes Jubläum feiern wird.
Die Jahrhunderte vergehn
Das Wort Marias bleibt bestehn
Sie höret Ihrer Kinder Fleh'n
Und Lahme gehn und Blinde sehn.
Was 100 Jahre lang verbannt
Wird heute freudig anerkannt:
Der Segen Ihrer Mutterhand
Er flutet über Stadt und Land.
(Aus Weisbart's Almanach 1973, Rixheim)
Erschienen in: "DAS ZEICHEN MARIENS", 19. Jahrgang Nr. 7, November A.D. 1985, Seiten 6286-6289.
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